Sehr geehrter Herr Gurtner,
wie auch Ihnen nicht entgangen sein sollte, leide ich an einer
als unheilbar geltenden Erkrankung und habe mit Unterstützung
einzelner kooperativer, kompetenter und mitmenschlicher Kapazitäten
aus dem medizinischen Sektor und entgegen aller widrigen Umstände,
die durch Personen des gleichen Fachbereichs verursacht wurden und
welche oft genug dem Tatbestand der unterlassenen Hilfeleistung
allzu nahe gekommen sind, jede Statistik bezüglich meiner Prognose
Lügen gestraft.
Der Grund, warum ich sie dringend ersuche, mit der Behandlung mit
Thalidomid unverzüglich zu beginnen, ist begründet durch folgende
Punkte
1.) die gängigen antineoplastischen Therapieoptionen haben mich
vorerst an die Grenze meiner Belastbarkeit getrieben, weitere
immunsuppressive Maßnahmen, abgesehen von evt. lebensnotwendigen
Corticoidgaben kann ich mir im Moment im Hinblick auf meine
bekanntermaßen eingeschränkte Lebensqualität nicht leisten.
2.) ich gelte nicht definitiv als tumorfrei, eine wait and see
Strategie kostet u. U. mein Leben.
3.) ich habe alle Auflagen einschließlich invasiver
empfängnisverhütender Maßnahmen erfüllt, die Voraussetzung zur
Überlassung des Präparates sind. (Schwangerschaftstest vom 12. April
2002 negativ)
4.) durch weiteres Zuwarten verringert sich möglicherweise rapide
die Lebenserwartung von weiteren 50 Jahren, die ich vor 16 Monaten
noch gehabt habe
5.) ich habe mir durch eingehendes Studium der momentan
verfügbaren Literatur (sh. Anlage) zum antiangiogenetischen
Wirkprinzip von Thalidomid eine Meinung gebildet, die mich veranlaßt,
die Verantwortung für alle denkbaren Risiken und Nebenwirkungen, die
mit der Präparateinnahme verbunden sein können unter sorgfältiger
Abwägung der Nutzen/Risiko-Relation auch bei diesem
Behandlungsschritt selbst zu tragen.
Im Vollbesitz meiner geistigen Kräfte und im Beisein meines
Ehemannes bestätige ich, Sie jeglicher Verantwortung bzgl.
eintretender Komplikationen im Zusammenhang mit der Einnahme von
Thalidomid zu entbinden.
Ich habe keine weiteren Fragen und insistiere auf Aushändigung
des Thalidomid.
Aalen, den 21.04.2002
Claudia Kohl